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von Michael Tocha

200 Seiten • 16 Euro • Kunstverlag Josef Fink. Lindenberg im Allgäu 2020.

An dem Freiburger Erzbischof und seiner Haltung zum Nationalsozialismus scheiden sich die Geister nach wie vor. Die Fakten sind längst bekannt: Einerseits regimefreundliche und judenfeindliche Äußerungen, die Mitgliedschaft in der Förderorganisation der SS (SS-FMO) und mangelnder
Einsatz für verfolgte Priester – andererseits Einstehen für die katholische Wahrheit und die Freiheit der Kirche, Protest gegen die Euthanasie und Unterstützung Gertrud Luckners zur Rettung von Juden. Was sich ändert, sind die Bewertungen. Seit 2017 ist eine Verschärfung der Kritik zu verzeichnen; den Anstoß dazu gab Wolfgang Proskes Untersuchung über Täter, Helfer und Trittbrettfahrer des NS-Regimes (vgl. auch die Rezension in dieser Zeitschrift, Band 61, 2018, S. 193 f.). In Gröbers
Geburtsort Meßkirch sowie in Konstanz und Freiburg wurde über die Umbenennung von Gröber-Straßen gestritten, der Konstanzer Gemeinderat erkannte Gröber 2019 die Ehrenbürgerwürde ab.
In die neu aufgeflammte Debatte haben sich die Professoren Mühleisen und Burkhard unter dem trendigen Titel „Gröber reloaded“ eingeschaltet und vorab und in erweiterter Form ihre Beiträge zu einer Tagung über die Bischöfe Gröber und Sproll 2018 in Meßkirch vorgelegt. Ihre Absicht
ist es, der als einseitig empfundenen und prinzipienstarken Kritik der Nachgeborenen eine Sichtweise aus dem Kontext der NS-Zeit gegenüberzustellen und so durch Differenzierung der Wirklichkeit gerechter zu werden. Dabei werden auch neue Quellen herangezogen. Mühleisen untersucht die
Wahrnehmung des Erzbischofs in kirchlichen Dokumenten, die im Pfarrarchiv Bräunlingen gesammelt vorliegen, sowie in der NS-Presse. Burkhard setzt sich quellenkritisch mit dem Gröber-
Dossier der „Archives de l’occupation“ auseinander, auf das Proske seine Vorwürfe stützt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Dokumente erst 1947 von Gegnern Gröbers verfasst wurden und sich deshalb
als Zeugnis gegen ihn nicht eignen. Im Mittelpunkt der Debatte steht immer wieder Gröbers Beitritt zur SS-FMO 1934. Seine Kritiker werten ihn als Beleg dafür, wie sich der „braune Conrad“ über ein
erträgliches Maß hinaus dem NS-Regime andiente. Dagegen besteht Mühleisen darauf, diesen Schritt historisch-verstehend zu analysieren, und führt als Argumente an: Viele Persönlichkeiten, etliche davon auch mit innerer Distanz zum NS, traten ebenfalls bei (mit dem Oberhirten das gesamte Domkapitel – aber nicht der Weihbischof Burger); die Mitgliedschaft sei ein eher geringfügiges Zeichen der Loyalität gewesen.
Der Beitrag konnte sogar ein „Schutzgeld“ sein, durch das man sich von weiteren Ansprüchen des Regimes freizukaufen versuchte. Vor allem sei die FMO-Mitgliedschaft nicht dasselbe wie die Zugehörigkeit zur aktiven SS. Diese war in den frühen 30er Jahren zwar eine gewalttätige Kampforganisation, galt vielen dennoch im Vergleich zu der marodierenden SA damals als „anständig“;
dass sie wenige Jahre später zum Inbegriff von Terror und Massenmord wurde, war nicht absehbar. Gröber begab sich hier, wie in vielen anderen Fällen, aus Sorge um die Kirche auf die Gratwanderung des Kompromisses mit dem Regime, bei dem er scheiterte und der ihn kompromittierte. Dass er trotzdem bei vielen als glaubwürdige Persönlichkeit und sogar als Mann des Widerstands Ansehen erwarb, liege an der Fähigkeit und dem Mut, den Weg des Kompromisses zu verlassen und stattdessen klare christliche Positionen zu beziehen und die Verbrechen des Regimes zu benennen. Ob es dem material- und zitatenreichen, deshalb in Teilen anstrengenden Buch gelingt, Gröbers Verhältnis zum NS ohne Suche nach Schuld oder Verteidigung zu erklären, sei dahingestellt. Angesichts der Vorwürfe, wie sie im Raum stehen, läuft es doch auf eine Verteidigung hinaus. Dass diese die Kritiker überzeugt, ist kaum zu erwarten. Gröber oder Sproll, taktische Kompromisse oder mutiges Bekenntnis – solche normativen Fragen kann Geschichtswissenschaft gar nicht lösen. Bestenfalls kann der Blick auf die historischen Umstände Verständnis dafür erzeugen, warum jemand so redete, wie er redete.
„Kein Ende der Debatte“, schloss Christoph Schmider seinen Aufsatz über den Erzbischof im Freiburger Diözesan-Archiv

„Reloaded“ kann auch heißen: neue Munition im Streit um Gröber.

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