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von Volkhard Huth
Mit Beiträgen von Christopher Deutsch, Ulrich Feldhahn,
Lothar Höbelt, Sven Riepe, Wolf-Ingo Seidelmann, Joachim Sturm und Andreas Wilts.
463 Seiten mit vielen Abbildungen • 45 Euro • Thorbecke-Verlag. Ostfildern 2019.

Der vorliegende Prachtband fängt im Prisma einer Persönlichkeit und ihrer Wirkungsräume die Welt Alteuropas paradigmatisch ein: Unter der Begriffstrias »Fürst, Soldat, Mäzen« geht er daran, mit stattlichen 13 Einzelbeiträgen von 7 Verfassern dem Bild Fürst Max Egons II. zu Fürstenberg (1863–1941) schärfere historische Konturen zu verleihen. Und die beiden Herausgeber, zum einen der Enkel des Protagonisten, zum andern der langjährige Leiter des F. F. Archives in Donaueschingen, waren sicher gut beraten, dieses Bild nicht über einen um Homogenität und Linearität ringenden individualbiographischen Ansatz aus einer Hand entwerfen zu lassen, sondern lieber die Fokussierung einzelner Lebensstationen und transpersonaler Bezüge jeweils fachspezifisch sensibilisierten Autoren zu übertragen. Als eher ungewöhnlicher, sympathischer Zug sei vermerkt, dass offenbar kein zwingender äußerer Anlass und ein abzufeierndes Jubiläum bei der Konzeption des Bandes Pate stand. So konnten die Autoren wohl passend abgestimmt zu Werke gehen, was sich jedenfalls auch in der koordinierten Übersicht der insgesamt benutzten »Archivquellen« (S. 448) sowie der integralen Bibliographie der »Gedruckte[n] Quellen und Literatur« (S. 449–451) im Anhang zu spiegeln scheint.
Bei näherem Zusehen zeigt sich allerdings, dass nicht jeder Autor dort, wo es seiner Darstellung hätte zugutekommen können, von dem hier gemeinsam bezeichneten Reservoir Gebrauch gemacht hat.
Das überrascht, etwa bei einem ausgewiesenen Sachkenner wie dem Wiener Historiker
Lothar Höbelt, der im Band für die komplementären Beiträge über »Max Egon II. und
Österreich« (S. 150–171) und dessen Statur als »Soldat im Ersten Weltkrieg« (S. 172–195) ver-
antwortlich zeichnet. Zweifellos lässt sich erheblicher Gewinn ziehen aus diesen atmosphärisch
dichten, Quellennähe mit anschaulichen Milieu- und Charakterdarstellungen verbindenden Essays. Zudem helfen sie einem größeren Teil der vorauszusetzenden Leserschaft, Max Egon II. sowohl in zeitgenössischen politischen Verhältnissen der k. u. k. Monarchie zu verorten wie in der heimatlichen Vorstellungswelt der adeligen Großgrundbesitzer Böhmens, die den Fürsten nachhaltig prägten.
Das betrifft erst recht die Rolle Max Egons im Ersten Weltkrieg, die man entgegen dem Buchuntertitel natürlich nicht auf direkten, persönlichen Frontkämpfereinsatz beziehen darf, ebenso wenig wie die seines – damals schon längst – engen Freundes und militärischen Oberbefehlshabers der deutschen Truppen, Kaiser Wilhelms II., der zwischen diversen Kriegshauptquartieren und Etappenreduits hin- und herpendelte und sich dort allenfalls auf neuesten Stand bringen ließ. Dabei leistete ihm sein Intimus
Max Egon aber insofern beachtliche Dienste, als er ihn (und über ihn mittelbar das deutsche Auswärtige Amt) mit Hintergrundwissen zu politischen Konstellationen und Diskursen in Österreich versorgte. Über dieses Wissen verfügte der Fürst nicht nur dank seines Adelsnetzwerkes, sondern auch über seine politischen Mandate und Kontakte in Wien. Sein Sitz im Herrenhaus ermöglichte ihm jenseits offizieller Parlamentsdebatten und Beschlüsse des Abgeordnetenhauses informelle Sondierungen,
in denen es nicht nur um Reparaturarbeiten im gelegentlich heiklen Zusammenwirken der beiden Hauptverbündeten Deutsches Reich und Österreich-Ungarn ging, sondern sogar um das diskrete Ausstrecken von Friedensfühlern. Dass Höbelt hierzu nicht die wohl spektakulärste Eigeninitiative Max Egons erwähnt, eine im Herbst 1916 zusammen mit einer Adelsgruppe von Wien aus anvisierte Geheimmission, die den spanischen König als Vermittler zu gewinnen suchte, irritiert. Karina Urbachs
2015 im englischen Original erschienene Studie ›Go betweens for Hitler‹, die im vorliegenden Band mitsamt der deutschen Ausgabe von 2016 zitiert wird, hatte sich darin jener letzthin gescheiterten geheimdiplomatischen Aktion ausführlich angenommen. Ihr – auch für die Einschätzung des späteren Engagements Max Egons im NS-Staat – nicht unwichtiges Buch wurde hier gleichwohl im umfänglichsten Beitrag des Sammelbandes, in dem sich Ulrich Feldhahn der jahrzehntelangen vertrauten Freundschaft des Fürsten mit dem letzten deutschen Kaiser annimmt, gezielt heran-
gezogen (S. 56–149). Im direkten Anschluss an Lothar Höbelts zweiten Aufsatz steuert Feldhahn dann auch einen Essay bei, der den in jugendlichem Alter an der Front gefallenen Sohn Max Egons porträtiert, Prinz Friedrich Eduard zu Fürstenberg (1898–1916; S. 196–205). Sicher zu Recht
unterstreicht der Autor gleich eingangs, dass »der Verlust des jüngsten Sohnes für Fürst Max Egon II. und seine Familie zu den schmerzvollsten Erfahrungen im Leben gehört haben« dürfte (S. 197).
Dass der Erste Weltkrieg aber für sein ganzes weiteres, immerhin noch über zwei Jahrzehnte und damit bis in den Zweiten Weltkrieg hinein währendes Leben eine persönlich-habituelle wie alsbald auch politisch-weltanschauliche Zäsur bedeutete, zeigen auf je eigene Weise neben Feldhahns Essay über den Kaiserfreund gleich drei weitere materialreiche Beiträge: Zum einen »Die jungen feldgrauen Kameraden wieder ganz wie in alter Zeit die Beine schmeißen zu sehen. Weimarer Republik und Drittes
Reich« von Joachim Sturm (S. 206–269), dann in unterschiedlichen Zusammenhängen zwei weitere Beiträge von Andreas Wilts. Der erste (S. 20–55) bildet für den gesamten Band gleichsam die Exposition. Er setzt historisch nach dem Tode Fürst Karl Egons III. ein, durch den das Hausgut der schwäbischen Linie Fürstenbergs auf dem Erbwege Max Egon II. zufiel. Der Aufsatz wie das ganze Buch werden durch eine farbige Schilderung des festlichen Einzugs Max Egons am 6. März 1897 in die Residenz Donaueschingen eröffnet, die dann, neben Schloss Heiligenberg, nach dem Verkauf der angestammten böhmischen Güter nach dem Ersten Weltkrieg für Max Egon zum Gravitationszentrum werden sollte. Er war nun lediglich noch Bürger der ersten deutschen Republik, die ihm immerhin den leeren Titel und seine Besitztümer beließ. Die Weltkriegsfolgen erlegten dem Fürsten und seinem Haus aber auch einen sozialen Rollenwechsel auf, sozusagen (mit den Worten Otto Brunners) von der Herrenschicht zur »leisure class«. In diesem Prozess neuer Orientierung und Sinnstiftung konnte in Anlehnung an die Repräsentationskultur früherer Tage eine neue überregionale Plattform mäzenatischen Wirkens gefunden werden, zumal die wirtschaftliche Subsistenzgrundlage nach Überstehen erster Enteignungsängste 1918/19 nicht mehr gefährdet war. Diese Zusammenhänge behandelt Andreas Wilts in seinem zweiten Essay über die von 1921–1926 in Donaueschingen veranstalteten Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst. Er vergegenwärtigt darin die anregende, flirrende Atmosphäre dieses frühen Avantgardefestivals, erläutert aber auch die Gründe für dessen Einstellung vor Ort und seine Verlagerung nach Baden-Baden (S. 270–303). Gegenüber der rein musikgeschichtlichen Monographie Joseph Häuslers von 1996
bietet der nun publizierte Essay sogar einen bedeutsamen Mehrwert dadurch, dass er die Häusler noch unbekannten Entfremdungsgründe zwischen dem ›spiritus rector‹ der Musiktage, Heinrich Burkard, und dessen Dienstherrn Max Egon freilegt, die zu Burkards Rückzug führten und damit, wie Wilts unterstreicht, auch zum »Tod auf Raten« der Musiktage (S. 300, zum Folgenden S. 298 f.). Wilts verbindet dies mit den reichsweiten Erschütterungen des Jahres 1923 und Max Egons nun hervortretender politischer Annäherung an das deutschnationale Lager. Hierzu wüsste man gerne Näheres, erfährt es aber im gesamten Band leider nicht, streng genommen auch nicht in dem unmittelbar einschlägigen Beitrag von
Joachim Sturm, dem allerdings auch im Gesamtrahmen der undankbarste Part zufiel. Sturm konstatiert seinerseits einen politischen Umschwung des Fürsten 1923 und attestiert ihm »ein gewisses Einverständnis für geheime Bestrebungen zur nationalen Wiederaufrichtung« (S. 225), ohne belastbare Gründe einer solchen Kehrtwendung anzuführen. Der Hinweis, Max Egon habe sich damit »im Gleichklang mit einer beachtlichen Anzahl von Standesgenossen« befunden, zieht so nicht: Derlei trifft überwiegend für den ostelbischen Adel zu und auch für die (von Max Egon nicht sonderlich ernst genommene) ›Deutsche Adelsgenossenschaft‹, nicht aber für die ihr industriekapitalistisches Engagement vorantreibenden reichsten Adeligen aus den Kreisen der einstigen Standesherren. Anders als Max Egon verweigerten sich späterhin, wie die neuere Adelsforschung gezeigt hat, erst recht die prominentesten Glieder der katholischen Ex-Standesherren Süddeutschlands einer Anbiederung an den Nationalsozialismus, wie die vergleichbaren Beispiele Aloys Löwensteins, der Oettingen-Wallersteins oder Waldburg-Zeil nachdrücklich demonstrieren. Hier bleiben die Erklärungsansätze unterbelichtet, und gerade zur politischen Haltung wie auch zur Wirtschaftsführung des Hauses Fürstenberg im NS-Staat lässt das Buch allerhand Fragen offen, etwa zur nicht eingehender diskutierten »Arisierung« der HUPAG in Neustadt 1938 unter maßgeblicher Beteiligung des Namensge bers der ›Holzzellstoff- und Papierfabrik Max Egon Fürst zu Fürstenberg‹, deretwegen Fürstenberg 1953 durch ein letztinstanzliches Urteil des OLG Karlsruhe zur Zahlung von 3 Mio. DM an die Erben
Joseph Blumensteins verpflichtet wurde. Ja, selbst die merkwürdigen Umstände von Max Egons II. Beisetzung 1941, die Joachim Sturm hier bezeichnenderweise fast durchweg nur nach F. F. Archivbeständen rekonstruiert, wären zum Beispiel schon vor dem Hintergrund eines jüngst zitierten, hier aber nicht berücksichtigten Zeugenberichtes eines Geistlichen, über den sich der Schriftsteller Ernst Jünger und der Historiker Joseph Wulf 1966 brieflich austauschten, zumindest einer kritischen
Musterung zu unterziehen. Dennoch hat es sich Joachim Sturm im Rahmen seiner Bestandsaufnahme zur politischen Akklimatisation Max Egons nach dem Ersten Weltkrieg gewiss nicht leicht gemacht und zumindest die Selbstzeugnisse des Fürsten akribisch ausgewertet. Dabei fallen aufschlussreiche Beobachtungen an, und der Autor zeigt sich immer um eine seriöse, faire Einordnung der Person in historische Zusammenhänge bemüht. Demgegenüber mag es dem Autor vielleicht mehr Freude bereitet haben, im Band auch die Technikbegeisterung Max Egons in Wort und Bild einzufangen (S. 378–401):
Im Ergebnis ein plastischer Essay, der persönliche Vorlieben des Fürsten wie seine Repräsentationsbedürfnisse zu den techni-
schen Innovationen der Zeit in Beziehung setzt, aber auch die horrenden Kosten dokumentiert, die Max Egon zwecks Erfüllung seiner luxuriösen Wünsche zu bestreiten hatte (vor allem bei seinem sechsachsigen Eisenbahn-Salonwagen). Während Sven Riepe mit seinem Aufsatz zur Jagd
(S. 402–433) eine traditionellere Spielart adelig-höfischer Kultur aufgreift, geraten
mit den aufeinander folgenden Beiträgen von Christopher Deutsch (»Des Kaisers Bier. Der Ausbau der Fürstlich Fürstenbergischen Brauerei zur Exportbrauerei«, S. 324–349) und von Wolf-Ingo Seidelmann (»Der Fürstentrust«, S. 350–377) die wirtschaftlichen Unternehmungen Max Egons in den Blick. Seidelmann leuchtet hier eindringlich die Hintergründe eines der großen Wirtschaftsskandale der wilhelminischen Ära aus, in den Max Egon maßgeblich verstrickt war: Es war nicht das erste Spekulationsfiasko, in das der Fürst geriet, hatte ihn doch schon sein Donaueschinger Onkel Karl Egon III. rund ein Vierteljahrhundert vorher vor dem Ruin bewahrt (vgl. den ersten Beitrag von Andreas Wilts, S. 31 f.).
Die letzten beiden der immerhin vier Beiträge, die Ulrich Feldhahn zum Gelingen dieses Bandes beigesteuert hat, sind kunsthistorischen wie auch memorialgeschichtlichen Zuschnitts. Sie stellen zum einen die Porträtbildnisse Max Egons (S. 304–323), zum andern – den Band damit sinnvoll beschließend – die Gestaltung der Grablege Max Egons und seiner ihm 1948 im Tode nachfolgenden Gemahlin Irma in Neudingen vor (S. 434–445). Feldhahn arbeitet dabei vielfältige Bezüge heraus, und als besonderes Glanzstück sei hervorgehoben, wie zum Beispiel das just im Jahre 1923 entstandene Fürstenporträt des Militärmalers Oskar Brüch motivgeschichtlich auf eine renaissancezeitliche „trono“-Darstellung zurückgeleitet wird (S. 313). Fazit: Ein ästhetisch höchst ansprechender und facettenreicher Sammelband, der anhand der Persönlichkeit Max Egons II. vielerlei historische Kontexte anreißt. Dass
dabei auch wissenschaftliche Defizite zutage treten, die zu weiteren Forschungen anregen, trübt nicht den starken Eindruck, den dieses Buch insgesamt weckt.

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